Bild: Jamani Caillet/EPFL

Eine unermüdliche Neugierde ist unerlässlich, aber erstklassige Forschung erfordert heutzutage auch leistungsstarke technologische Werkzeuge und Fähigkeiten. Die Schweizer École Polytechnique Fédérale de Lausanne untermauert ihren wachsenden Ruf als europäisches Forschungszentrum, indem sie ihren Forschungsteams alle erforderlichen IT-Ressourcen zur Verfügung stellt. Cloud- und Automatisierungsplattformen sollen dabei helfen, ein Self-Service-IT-Portal für 3.000 Forscher zu schaffen, das die Zeit bis zu wissenschaftlichen Durchbrüchen verkürzt, wie Philippe Morel, Director of IT Operations and Infrastructure, EPFL, im nachfolgenden Interview erläutert.

Interview mit Philippe Morel, Director of IT Operations and Infrastructure, EPFL

ICTkommunikation: Können Sie uns ein paar Zahlen zur Entwicklung und zum aktuellen Stand der EPFL nennen?

Philippe Morel: Die EPFL ist eine der jüngsten technischen Hochschulen in Europa und gehört heute zu den besten der Welt. Die 1969 gegründete Hochschule steht in den QS World University Rankings auf Platz 14, zwei Plätze höher als 2020, neben der Columbia University und Yale. Im Vergleich zu anderen Hochschulen sind wir jung, aber wir steigen schnell auf. Für uns ist es wichtig, dass wir uns kontinuierlich verbessern.
Ein grosser Teil des Fortschritts ist darauf zurückzuführen, dass wir in der Lage sind, akademische Talente und Forschungsgelder anzuziehen. Zu unseren hochkarätigen Forschungsprogrammen gehören das Blue Brain Project, das Swiss Plasma Center und die Venice Time Machine. Seit dem Jahr 2000 haben wir mehr als 350 Startups gegründet, und die Spin-offs der EPFL haben bis 2020 mehr als 750 Millionen US-Dollar an Finanzmitteln eingeworben. In einem kompetitiven Umeld gilt die EPFL als eine Institution, an der grossartige Arbeit geleistet werden kann und grosse Karrieren möglich sind.

ICTkommunikation: In welchen Bereichen sind Sie führend?

Philippe Morel: Die EPFL verfügt über mehr als 500 Labore und Forschungsgruppen, die jeweils an der Spitze von Wissenschaft und Technologie stehen. Die Arbeit der Hochschule befasst sich mit kritischen Bereichen wie Data Science, personalisierte Gesundheit, Biomedizintechnik, Energie, Robotik und fortschrittliche Fertigung. Wir möchten unser Wissen weitergeben, die Öffentlichkeit einbeziehen und engere Kooperationen mit anderen Institutionen und Forschungslaboren eingehen, um erfolgreich zu sein. Unser Ziel ist es, weiterhin die besten Talente, Investitionen und Industriepartner anzuziehen.

ICTkommunikation: Vor welchen Herausforderungen stehen Sie bei der Verwirklichung dieser Ziele?

Philippe Morel: Aus Sicht der IT-Infrastruktur müssen wir den Forschern alles, was sie für ihre Forschung benötigen, in einem sehr schnellen Tempo zur Verfügung stellen: Sie sollten in der Lage sein, ihre Forschung vom ersten Tag an zu beginnen. Dazu muss die Infrastruktur flexibel und sicher sowie schnell und einfach zugänglich sein. Ausserdem müssen wir unsere Forschungsgemeinschaft zusammenhalten und dafür sorgen, dass hochwertige Projekte im Umfeld der Universität bleiben. Wir stellten leider fest, dass einige Forscher die IT-Infrastruktur der Universität nicht in Anspruch nahmen und ihre eigene öffentliche Cloud-Lösung fanden, was nicht akzeptabel war. Die Verlagerung sensibler Forschungsdaten aus der Hochschulumgebung könnte hohe Risiken mit sich bringen. Ausserdem müssen wir die Schweizer Gesetze zur Datensouveränität respektieren, die zu den strengsten der Welt gehören. Ein Nichthandeln stellte für unsere Universität ein Risiko dar, sowohl aus rechtlicher Sicht als auch in Bezug auf Reputation und Kontrolle.

ICTkommunikation: Wie hat Ihnen Ihre bestehende IT-Infrastruktur bei der Bewältigung dieser Herausforderungen gedient?

Philippe Morel: Wir mussten die Art und Weise, wie wir den Forschern unsere IT-Dienste zur Verfügung stellen, komplett ändern. Es musste schnell, einfach und zuverlässig sein. Unser Management stellte uns die Aufgabe, eine neue virtuelle Maschine innerhalb von 15 Minuten bereitzustellen. Diese Herausforderung konnte mein 14-köpfiges Team schneller bewältigen, als wir es uns vorgestellt hatten. Wir entschieden uns für die Einrichtung einer privaten Cloud, auf die über ein automatisiertes Self-Service-Portal zugegriffen werden konnte, um den Forschungsteams eine sicherere Alternative zur kommerziellen Cloud-Nutzung zu bieten. Dies konnte jedoch nur funktionieren, da wir unsere Dienste verbesserten.

ICTkommunikation: Welche technologischen Lösungen haben Sie implementiert?

Philippe Morel: Das Team baute eine private Cloud mit Schwerpunkt auf Automatisierung, Zuverlässigkeit und Geschwindigkeit. Die neue Plattform wurde innerhalb von drei Monaten vollständig getestet und eingeführt. Wir haben uns für VMware Cloud Foundation entschieden, die alles bietet, was wir brauchen: Rechenleistung, Speicherplatz und Netzwerke sowie Lastausgleich und Flexibilität. Wir haben ein weiteres Tool von VMware verwendet, um eine Public-Cloud-ähnliche Nutzererfahrung zu ermöglichen und gleichzeitig Sicherheit, Compliance und Kontrolle zu gewährleisten. Wir sind ein kleines Team, aber unser Technologiepartner unterstützt uns dabei, alles als Dienstleistung (XaaS) anzubieten. Mit den neuen Technologien schützen wir sensible Forschungsarbeiten und schaffen gleichzeitig die nötige Verwaltungskontrolle. So kann die EPFL die Kosten, die Leistung, die Konfiguration und die Bereitstellung der Infrastruktur und der nativen Cloud-Anwendungen in jeder beliebigen Cloud verwalten. Der Ansatz trägt auch zur Stärkung der Data Governance bei.

ICTkommunikation: Und wie haben die Forschenden auf die neue Infrastruktur reagiert?

Philippe Morel: Sie kommt bei unseren Wissenschaftlern sehr gut an. Die Akzeptanz war viel ausgeprägter, als wir erwartet hatten. Wir haben zwar nicht die Befugnis, Forschern die Nutzung der öffentlichen Cloud zu verbieten, aber wir können ihnen jetzt eine schnellere, kostengünstigere und sicherere Alternative anbieten. Unsere private Cloud bedeutet, dass wir dem Forschergeist nicht im Wege stehen. Das Ziel der "15-Minuten-Bereitstellung" wurde erreicht, und das Self-Service-Portal wurde von der Forschungsgemeinschaft der Universität begeistert angenommen. Die Zahl der genutzten virtuellen Maschinen ist von 2.000 im Jahr 2020 auf fast 4.000 in zwei Jahren gestiegen, während die Nutzung der öffentlichen Cloud stark zurückgegangen ist.

ICTkommunikation: Haben Sie weitere Vorteile entdeckt?

Philippe Morel: Die private Cloud ermöglicht auch eine bessere Nutzung der vorhandenen Ressourcen. Wir haben keine Überversorgung oder ungenutzte Ressourcen und wir müssen auch nicht für eine kurzfristige Lösung zu viel investieren. Es gibt genügend Spielraum, um den künftigen Forschungsbedarf zu decken, und die Universität könnte in der Zwischenzeit die Vermietung freier IT-Kapazitäten in Betracht ziehen. Die vielleicht grösste Auswirkung war das Umdenken in meinem Team: Die anfängliche Skepsis gegenüber der Automatisierung und dem, was dies für die einzelnen Mitarbeiter in Bezug auf ihre Aufgaben bedeutet, ist völlig verschwunden. Jetzt will das Team seine Fähigkeiten diversifizieren und die nächste Runde der Innovation erkunden.

ICTkommunikation: Was sind Ihre Ziele für die nahe Zukunft?

Philippe Morel: Das kurzfristige Ziel ist es, Standard-Workloads in eine geeignete öffentliche Cloud zu verlagern - je nach Kosten, Sicherheit oder den strengen Datenhoheitsregeln der Schweiz -, während die sensibelsten Workloads in der privaten Cloud bleiben.
Wir haben bereits eine kleine Einrichtung mit VMware Cloud on AWS für Disaster Recovery-Zwecke; eine grössere Multi-Cloud-Flexibilität wird die Disaster Recovery verbessern und grenzüberschreitenden Forschungsteams helfen. Wir müssen in der Lage sein, bei Bedarf Cloud-Bursts durchzuführen und Arbeitslasten zu verschieben, um Peaks zu bewältigen. Unsere Multi-Cloud-Umgebung muss einfach zu verwalten sein, idealerweise mit automatischer Verlagerung von Arbeitslasten in die entsprechende Cloud.

ICTkommunikation: Und wie sehen die langfristigen Perspektiven aus?

Philippe Morel: Die nächste Herausforderung für mein Team besteht darin, die Grenzen der Forschung zu erweitern und Studenten Testumgebungen für maschinelles Lernen zur Verfügung zu stellen. Studenten können bereits auf virtuelle Maschinen zugreifen, und es ist geplant, auch GPU als Service über VDI anzubieten. Die Studenten können dann mit der Beherrschung von Datensätzen und Algorithmen beginnen, zum Beispiel durch kleine neuronale Netzwerkprojekte. Unsere Rolle ist die eines Dienstleisters. Wir wollen den Wert, den wir unseren Forschern bieten, nun auch unseren Studenten zur Verfügung stellen. Wir haben die Möglichkeit, die nächste Generation von Forschern zu begeistern und ihnen die Werkzeuge zur Verfügung zu stellen, die grosse wissenschaftliche Fortschritte ermöglichen.

Philippe Morel, Director of IT Operations and Infrastructure, EPFL (Bild: zVg)
Philippe Morel, Director of IT Operations and Infrastructure, EPFL (Bild: zVg)
Studenten an der EPFL (© Alain Herzog/ EPFL)
Studenten an der EPFL (© Alain Herzog/ EPFL)
Studieren an der EPFL - eine Impression (© Jamain Caillet/EPFL)
Studieren an der EPFL - eine Impression (© Jamain Caillet/EPFL)