Frédéric Brunier, Senior Managing Director und Europa-Chef für den Bereich "Cloud-Platform-Data" bei Accenture (Bild: zVg)

Edge Computing ist eine Form der Datenverarbeitung, die direkt oder nahe bei einer bestimmten Datenquelle stattfindet, wodurch die Notwendigkeit der Verarbeitung von Daten in einem weit entfernten Rechenzentrum minimiert wird. Wie genau Edge Computing funktioniert und welche Vorteile es im Vergleich zu anderen Technologien wie etwa Cloud Computing oder IoT bietet, erläutert Frédéric Brunier, Senior Managing Director und Europa-Chef für den Bereich "Cloud-Platform-Data" bei Accenture.

ICTkommunikation: Edge Computing steht unter anderem auch für neue Geschäftsmodelle. Was genau versteht man unter Edge Computing und was genau können Unternehmen im Vergleich zu anderen Technologien wie etwa Cloud Computing oder IoT davon erwarten?

Frédéric Brunier: Tatsächlich gibt es keine standardisierte Definition dafür, was Edge Computing ist. Allgemein kann Edge Computing als die Gesamtheit von Geräten, Daten, Infrastruktur und Diensten definiert werden, die ausserhalb der Cloud ausgeführt werden. Edge Computing ist aber keine isolierte digitale Technologie; sie umfasst IoT, KI und smarte Infrastrukturen, um mit der Cloud eine Kontinuität zu bilden, auch bekannt als "Edge Cloud Continuum".

Die vier Hauptvorteile von Edge Computing sind die kurze Latenzzeit, der effiziente Datenverbrauch, der einfache Datenschutz und die Zuverlässigkeit von Daten. Edge Computing ermöglicht es Herstellerinnen und Herstellern beispielsweise, innerhalb von Millisekunden oder sogar Mikrosekunden zu reagieren und die Daten zu sichern, ohne ständig mit dem Internet verbunden zu sein, wie das unter anderem bei der Cloud der Fall ist.

ICTkommunikation: In welchen Branchen wird Edge Computing am häufigsten eingesetzt?

Frédéric Brunier: Edge Computing ist in verschiedenen Branchen anwendbar. Es kann zum Beispiel zur Optimierung von Produktionsprozessen in der Fertigung, zur Personalisierung von Einzelhandelserlebnissen, zur Verbesserung der Verkehrssicherheit oder zur Optimierung des Energieverbrauchs eingesetzt werden. Die Fortschritte variieren jedoch von Land zu Land.

Im Allgemeinen ist Edge Computing in der Fertigung – als natürliche Folge der Industrie-Revolution 4.0 – fortgeschrittener. In anderen Branchen gewinnt die Technologie aber immer mehr an Bedeutung, wie im Einzelhandel oder in der Automobilindustrie mit autonomen Geschäften respektive Fahrzeugen. Die Telekommunikationsbranche spielt ebenfalls eine besondere Rolle: Anbieter nutzen Edge Computing nicht nur zur Optimierung ihrer eigenen Operationen, sondern auch zur Bereitstellung zusätzlicher Dienste für ihre Kundinnen und Kunden. Dadurch können sie die in 5G und Mobile Private Networks getätigten Investitionen monetarisieren.

ICTKommunikation: Gibt es praktische Beispiele für die Einführung von Edge Computing in der Schweiz?

Frédéric Brunier: Wir sehen immer mehr Schweizer Unternehmen, die sich für den Einsatz von Edge AI interessieren. Damit können sie den Status ihrer Infrastruktur überwachen oder die Effizienz ihrer Kundenbetreuung in Geschäften mit Warteschlangenmanagement verbessern. Im Einzelhandel haben die grossen Ketten in der Schweiz beispielswiese bereits intelligente Self-Checkout-Lösungen eingeführt.

ICTKommunikation: Wie entwickelt sich Edge Computing in der Schweiz und welche Entwicklungen sind in den kommenden Jahren zu erwarten?

Frédéric Brunier: In der Schweiz entwickelt sich Edge Computing rasant. Wir sehen zum Beispiel, dass der Markt für Mobile Private Networks, der von den vier Vorteilen von Edge Computing profitiert, im Einklang mit anderen Ländern wächst. Insbesondere in Kombination mit der 5G-Technologie können Daten dadurch sehr nah an der Quelle, das heisst dem Kunden oder der Kundin der Telekommunikationsfirma, verarbeitet werden.

ICTKommunikation: Was sind Accentures Empfehlungen für die optimale Nutzung von Edge Computing?

Frédéric Brunier: Zweifellos haben Unternehmen verstanden, dass sie ohne digitale Transformation ihre Relevanz verlieren. Um Edge Computing optimal zu nutzen, raten wir Unternehmen, die Technologie als wichtigen Bestandteil der gesamten Geschäftsstrategie zu sehen. Am erfolgreichsten ist Edge Computing ausserdem, wenn es in der ganzen Organisation ausgebaut wird und alle Mitarbeitenden darauf vorbereitet sind, nicht nur die IT. Wichtig zu beachten ist zudem, dass es keine reine Edge- oder Cloud-Lösung gibt. Nur durch die Kombination beider Lösungen in einem Kontinuum ist es möglich, silobasierte, nicht skalierbare Lösungen zu vermeiden.

ICTKommunikation: Wie sieht es mit der Nachhaltigkeit aus: Ist Edge Computing nachhaltiger als die Cloud?

Frédéric Brunier: Beide Technologien haben ihre eigenen Stärken. Edge Computing hat den Vorteil, dass es keine Netzwerkressourcen für die Übertragung und Speicherung von Daten benötigt und somit den Einfluss der energieintensiven Rechenzentren von Cloud-Anbietern reduziert. Darüber hinaus ist Edge so konzipiert, dass lokale Ressourcen effizienter genutzt werden, da die Hardware für mehrere Anwendungsfälle wiederverwendbar ist. Die Cloud hingegen hat den Vorteil, dass der Cloud-Anbieter einfacher auf eine nachhaltigere Energiequelle wechseln kann, ohne dass der einzelne Nutzer lange, interne Prozesse durchlaufen muss. Cloud-Anbieter können ausserdem leistungsstärkere Hardware im grossen Stil einsetzen. Um die Frage abschliessend zu beantworten, sollten die Vorteile beider Technologien kombiniert werden, indem Edge Computing als Ergänzung zur Cloud betrachtet wird.

Frédéric Brunier, Senior Managing Director und Europa-Chef für den Bereich 'Cloud-Platform-Data' bei Accenture (Bild: zVg)
Frédéric Brunier, Senior Managing Director und Europa-Chef für den Bereich 'Cloud-Platform-Data' bei Accenture (Bild: zVg)