Mit vier Jahren Verspätung kommen die Chinesen dieser Tage endlich in den Genuss der erhofften olympischen "Meinungsfreiheit", zumindest im Sportbereich. Während bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking jede Abweichung vom verordneten Jubel zensuriert wurde, geben sich die chinesischen Behörden anlässlich der Spiele in London tolerant.

In Internetforen tobe ein wahrer "Krieg der Worte", bei dem auch mit dem chinesischen Sport-Establishment abgerechnet werden darf, berichtete die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua.

"Die Behörden sind unterschiedlichen Ansichten gegenüber toleranter geworden", schrieb die staatliche Nachrichtenagentur. So durfte etwa ein Internetbenutzer nicht nur die Londoner Olympia-Eröffnungsfeier als "frei, entspannt und berührend" loben, sondern auch ein vernichtendes Urteil über ihr Pekinger Pendant abgeben. Die Eröffnungsfeier von Olympia 2008 sei eine "neureiche Luxusshow" gewesen.

Zugleich regt sich deutliche Kritik an der Leistungsorientierung im chinesischen Sport. Die Tränen des Gewichthebers Wu Jingbiao, der sich bei seinen Fans dafür entschuldigte, "nur" Silber gewonnen zu haben, quittierte ein Internetnutzer mit den Worten: "Dieses Land ist besessen von Olympischen Goldmedaillen. Wu hat sein Bestes gegeben, und die Silbermedaille zeigt, dass er zu den besten Gewichthebern der Welt zählt. Er hätte sich überhaupt nicht entschuldigen müssen."

Xinhua bejubelte die hitzigen Olympia-Debatten als "revolutionären Fortschritt". Schließlich seien die meisten Chinesen früher äußerst verhalten gewesen, was das öffentliche Kundtun ihrer Meinung betreffe, während sie "dazu neigten, sich den Behörden gegenüber gehorsam zu zeigen". Der Internetexperte Lv Benfu lobte soziale Medien gegenüber Xinhua als "Stressventil", über das man "negative Emotionen ablassen kann". "Die Beliebtheit der sozialen Medien wird die öffentliche Meinung auf positive Weise lenken", betonte Lv.