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Bei Nachforschungen zur Geschichte der Rechentechnik kamen jetzt im Schreibmaschinenmuseum Beck in Pfäffikon (ZH) u.a. Zeichnungen zur legendären mechanischen Rechenmaschine Curta, anfänglich "Liliput" genannt, zum Vorschein. Sie wurden im Konzentrationslager Buchenwald vom Erfinder Curt Herzstark erstellt.

Gastbeitrag von Herbert Bruderer, Dozent i. R. am Departement Informatik der ETH Zürich

Der Nachlass, den Herzstarks Lebensgefährtin Christine Holub dem Museumsbesitzer Stefan Beck schenkte, umfasst zudem einen Briefwechsel mit berühmten, längst untergegangenen Schweizer Rechenmaschinenherstellern und Kundenverzeichnisse. Bemerkenswert ist ferner ein Vertriebsvertrag mit der Firma Rheinmetall-Borsig in Sömmerda, der kurz vor Herzstarks dramatischer Flucht aus Thüringen geschlossen wurde.

Die von 1947 bis 1971 von der Contina AG in Mauren in Liechtenstein gefertigte Curta gilt als die kleinste mechanische Rechenmaschine der Welt. Die bildhübsche "Pfeffermühle", die in zwei Modellen auf den Markt kam, beherrscht alle vier Grundrechenarten. Über 140.000 Stück wurden gebaut. Das zierliche, nach wie vor voll funktionsfähige Gerät begeistert die Fachwelt bis heute.

Erfinder ist der hoch begabte Wiener Ingenieur Curt Herzstark (1902–1988). Sein Leben verlief äusserst tragisch. Der Halbjude wurde verhaftet und ins Konzentrationslager Buchenwald gebracht. Dort entwarf er die Konstruktionszeichnungen zur Liliput, die später Curta getauft wurde. Nach der Flucht aus Thüringen musste er in Wien feststellen, dass sein väterliches Erbe, eine Rechenmaschinenfabrik, für ihn verloren war. Fürst Franz Josef II. drängte ihn zur Produktion des Winzlings in Liechtenstein. Doch hier betrogen gewissenlose Verwaltungsräte den Schöpfer um sein bahnbrechendes Werk. Schliesslich verliessen ihn Frau und Kinder, um nach Wien zurückzukehren.

Betriebsratsprotokoll zur Flucht vor den russischen Häschern

Unter den Schriftstücken befindet sich auch ein Werkvertrag vom 16. Oktober 1945 zwischen der Rheinmetall-Borsig AG, Sömmerda, und ihrem technischen Direktor Curt Herzstark. Die fünfjährige Vereinbarung über den Alleinvertrieb aller Erzeugnisse aus dem Rechenmaschinenwerk Sömmerda wäre am 1. Januar 1946 in Kraft getreten. Doch es kam anders. Herzstarks Tätigkeit in Thüringen, wo Wilma Scherer (später Riegel) die Reinzeichnungen der Bleistiftskizzen aus dem KZ angefertigt hatte, war nur von kurzer Dauer. Das ist einem handschriftlichen Protokoll über die 12. Betriebsratssitzung vom 4. Dezember 1945 (Seite 2) zu entnehmen: "Hierauf teilte der Kollege Wittig [erster Vorsitzender des Betriebsrats] mit, das der techn. Direktor Herzstark unbemerkt unser Werk verlassen hat. Genaues könne bis jetzt nicht hierüber gesagt werden." (Quelle: Historisch-technisches Museum der Stadt Sömmerda). Die halsbrecherische Flucht führte Herzstark über Prag nach Wien. Denn es drohte eine Entführung durch die russischen Häscher. Ihnen war die ursprünglich amerikanische Besatzungszone zugeteilt worden, was die Lage immer gefährlicher gemacht hatte.

Anfragen an Schweizer Maschinenbauer zur Herstellung der Curta

Beeindruckend sind auch die Briefe, die Herzstark im Februar 1946 von Wien aus an verschiedene Schweizer Unternehmen sandte. Ein Schreiben ging auch an die Hans W. Egli AG, Zürich, die Herstellerin der ersten brauchbaren Multiplikationsmaschine „Millionär“ und der weit verbreiteten Rechenmaschine Madas. Die Zürcher Precisa AG, eine führende Anbieterin von mechanischen und elektromechanischen Rechenmaschinen (Marke Precisa), hätte die Herstellung und den Vertrieb der Curta gern übernommen. Positiv war auch die Stellungnahme der Theo Muggli AG, Zürich (Rechenmaschinen Direct). Äusserst beschämend fiel hingegen die Antwort der Paillard SA, Yverdon, aus.

Wer benutzte die Curta?

Im Museumsarchiv gibt es ferner (undatierte) Kundenverzeichnisse der Contina AG, Vaduz. Sie belegen, dass die Rechenmaschine rund um die Erde verkauft wurde. Zu den Schweizer Abnehmern gehörten etwa: Bundesverwaltung, Institut für angewandte Mathematik sowie Institut für technische Physik der ETH Zürich, Eidgenössische Anstalt für Wasserversorgung, Eidgenössische Materialprüfungsanstalt, Swissair Schweizerische Luftverkehr AG, Aluminium-Industrie AG, AG Brown Boveri & Cie., Maschinenfabrik Oerlikon, Escher-Wyss AG, Schweizerische Kreditanstalt, Schweizerische Rückversicherungs-Gesellschaft, Schweizerische Unfallversicherungs-Gesellschaft. Deutsche Bezieher waren u.a. Oberfinanzdirektionen, Gas-, Wasser- und Elektrizitätswerke, Universitäten, Vermessungsämter, Deutsche Bundesbahn, Bergwerke, chemische und Maschinenfabri- ken, Banken, Versicherungen, Verlage (z. B. R. Oldenbourg, München). In Österreich erwarben z. B die Postdirektion, Textil- und Handelsunternehmen, die Nationalbank, Land- und Forstwirtschafsämter das technische Wunderwerk.

Hinweise auf Bücher
Das tragische Leben des genialen österreichischen Erfinders ist mit grosser Sorgfalt aufgezeichnet in:
• Curt Herzstark: Kein Geschenk für den Führer. Schicksal eines begnadeten Erfinders, herausgegeben von Christine Holub, unter Mitarbeit von Heinz Joss, Ute und Bernd Schröder, Books on demand, Norderstedt 2005

Eine umfassende Darstellung dieser und weiterer aufsehenerregender Funde erscheint in:
• Herbert Bruderer: Meilensteine der Rechentechnik. Zur Geschichte der Mathematik und der In- formatik, Walter de Gruyter, Berlin/Boston 2015

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Universalrechenmaschine Liliput 2. Die spa?ter Curta genannte kleinste mechanische Rechenma- schine der Welt wurde in Liechtenstein von der Contina AG hergestellt. © Schreibmaschinenmuse- um Pfa?ffikon ZH *)