Sebastian Westphal (Bild: zVg)

Bei den gestern gestarteten und bis heute Abend dauernden Technologietagen der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe (DSAG) im Congress Center in Hamburg werden aktuell unter dem Motto "Black Box – From Vision to Reality" Fragen zu neuen technologischen Entwicklungen thematisiert. Der Hype um generative Künstliche Intelligenz (KI)-Systeme steht dabei logischerweise auch im Fokus. KI in bestehende Produkte zur Verbesserung ihrer Funktionalität zu integrieren, sei sinnvoll und könne hilfreich sein, betont die DSAG. Zwischen Vision und Realität bzw. zwischen Sales und nutzbarer Software lägen jedoch teilweise noch Welten.

Durch die schnelle und einfache Verfügbarkeit von ChatGPT habe das Thema Künstliche Intelligenz (KI) seit November 2022 zwar sehr viel Fahrt aufgenommen, offen bleibe aber vielfach aus DSAG-Sicht, was KI in Form von konkreten Anwendungen bedeute. Dabei sei KI bereits weit vor dem Hype um Generative KI und Large Language Models (LLMs) eingesetzt worden, um z. B. Prozesse zu automatisieren oder um Cyber-Bedrohungen mittels Machine- und Deep-Learning-Modellen besser zu erkennen, betont die DSAG in einer Aussendung zu den Technologietagen. Werde KI nun verstärkt in bestehende Prozesse integriert und würden datengetriebene Ansätze weiterentwickelt, trage dies langfristig dazu bei, die Wettbewerbsfähigkeit, Wirtschaftlichkeit und Resilienz der Unternehmen zu steigern, so die Anwendergruppe.

Die Ankündigung von SAP im Sommer 2023, künftige Innovationen wie KI nur noch via Rise-with-SAP-Premium-Angebot zur Verfügung zu stellen, habe viele Kunden verunsichert, die auf S/4Hana Private Cloud oder On-Premises gesetzt hätten. Die technische Integration von KI-Modellen von einem Vertragskonstrukt eines Anbieters abhängig zu machen, lasse sich im Kontext einer gesamthaften IT-Architektur jedoch kaum abbilden, so die DSAG. "KI nur noch in einem singulären Cloud-Vertrags- und -Betriebsmodell anzubieten, ist zudem technisch nicht haltbar, können doch Large-Language-Modelle jederzeit unabhängig hiervon realisiert werden", kritisiert Sebastian Westphal, Fachvorstand Technologie der DSAG.

Positiv in diesem Zusammenhang sei gemäss DSAG daher die Bekanntgabe des Generative AI-Hubs bei der letzten SAP Teched zu bewerten, der diese Öffnung technologisch aufgreife. Die auf der SAP Business Technology Platform (BTP) existierenden SAP AI Core und SAP AI Launchpad würden um diesen Generative AI-Hub erweitert, um die Anbindung an externe LLM-Modelle, genau genommen zunächst Open AI, anzusteuern. Zudem sei die Abrechnung über ein eigenes Preismodell (AI Units) geplant.

Auch mit der Einführung von SAP Joule werde der neue Fokus von SAP auf "Business AI" deutlich. Dieser sprachgesteuerte KI-Assistent auf Basis generativer KI, soll den Geschäftskontext verstehen und direkt in das Cloud-Portfolio für geschäftskritische Prozesse von Anwenderunternehmen integriert sein. Diese Ausrichtung hatte Thomas Saueressig, SAP-Vorstand Product Engineering, in seiner Keynote beim DSAG-Jahreskongress 2023 bereits konkretisiert, dass künftig Business-Prozesse in Verbindung mit KI in den Fokus rücken. Der Software-Hersteller wolle hier nach eigenen Angaben verstärkt auf Partner setzen wie z. B. OpenAI.

"Grundsätzlich begrüssen wir diese strategische Ausrichtung von SAP – gerade vor dem Hintergrund der dynamischen Entwicklungen rund um die grossen Modelle wie OpenAI, Bard etc. Allerdings sind für uns aus kommerzieller, fachlicher und technologischer Sicht noch einige Fragen offen", betont Westphal. Es brauche z. B. transparente und erprobte Abrechnungsmodelle und -metriken. Zudem müsse nachweisbar sein, dass bei Prozessentscheidungen durch eine KI geltende Richtlinien ausgeführt und dokumentiert würden. Und aus technologischer Warte wäre u. a. wichtig, wie mit den sensiblen Unternehmensinformationen umgegangen werde, die bei der Nutzung herangezogen werden.

Das Wartungsende für einige zentrale SAP-Lösungen sei mit 2027 klar definiert und damit absehbar. Unverändert seien aber viele Fragen offen, wie die zukünftigen Services und Lösungen tatsächlich realisiert würden – und Unternehmen benötigten funktionierende Lösungen, bevor sie migrieren könnten. Auch heute seien viele Produkte noch nicht fertig entwickelt und die Roadmaps prall gefüllt, so die DSAG. Für das Identity-Management für die zentrale Verwaltung von Benutzer:innen und Berechtigungen hiesse das z. B., dass Anwenderunternehmen, die IDM bisher als zentrales, architekturübergreifendes Tool nutzen, sich nach einer neuen Lösung umsehen müssten. Denn das SAP Cloud Identity Management biete keinen identischen Leistungsumfang und adressiere perspektivisch ausschliesslich SAP-Landschaften. Folglich brauche es eine klare Aussage, welche Ziellösung SAP mit entsprechenden Migrationsszenarien und -services unterstützt, bzw. ob es präferierte Partner geben werde, für die entsprechende Migrationsszenarien angeboten würden.

Rundweg positiv zu bewerten sei die Lösung SAP Forms Service by Adobe als Nachfolgeprodukt des Adobe Document Services, so die Anwendergruppe weiters. Damit werde die Lücke geschlossen, über die bei den DSAG-Technologietagen 2023 noch diskutiert worden sei. "SAP Forms Service by Adobe ist eine Lösung im Sinne vieler Unternehmen, die sich u. a. mittels eines entsprechenden DSAG-Positionspapiers für dieses alternative Produkt eingesetzt haben", hält Westphal dazu fest. Ein Punkt rund um das Dokumenten-Management bleibe allerdings offen. So fehle nach wie vor ein einheitliches Harmonized Document Management über das komplette SAP-Portfolio hinweg. Nachholbedarf bestehe gerade bei akquirierten SAP-Lösungen wie Ariba, Successfactors, aber auch neu entwickelten Produkten wie der BTP und dem Cloud-Application-Lifecycle-Management (ALM).

Für SAP Datasphere und die SAP Analytics Cloud (SAC) sei das Bild der Black-Box besonders anschaulich. Die Produktvisionen passten hier. Aber in der Praxis liessen sich noch keine komplexen, übergreifenden End-to-End-Geschäftsanwendungen abbilden, die Unternehmen dringend benötigten. "Neben der Live-Connection der SAP Analytics Cloud zu allen SAP-Produkten braucht es diese auch zu Non-SAP-Quellen. Auch sind entsprechende Migrationsszenarien unter Anrechnung von Bestandslösungen sowie seit Jahren ein Lizenzmodell für Gelegenheitsnutzer:innen von Nöten", so Sebastian Westphal.

Bei einem Blick auf die Analytics-Architekturen der Zukunft seien bei anderen Anbietern erhebliche Fortschritte in den Bereichen Data Fabric/Data Mesh sowie bei modernen Data-Lakehouse-Architekturen zu verzeichnen. Hier sei noch unklar, was an konkreten Lösungen von SAP Datasphere zu erwarten sei – und wie es um die Zukunftsfähigkeit der heutigen SAP-Analytics-Lösungen bestellt sei, wenn diese Funktionen nativ durch sprachbasierte Lösungen sehr viel anwenderorientierter bereitgestellt würden.

Bei der BTP vermissen die Anwenderunternehmen der DSAG zufolge noch eine serviceübergreifende Strategie sowie die Konsistenz über alle BTP-Services und deren Zusammenspiel hinweg – um die BTP sowohl in unternehmensweiten, mehrstufigen Architekturen noch eindeutiger als Plattform, als auch mit den zugehörigen Business-Services integrieren zu können. So sei z. B. das Monitoring und Logging der einzelnen Services noch nicht einheitlich ausgeprägt, und auch eine durchgängige Cloud-Identity-Management-Strategie sei noch nicht Realität. Zudem würde eine einheitliche Zugriffsstrategie vom SAP-Support auf die LoB-Services, eine einheitliche Übersicht der BTP-Services inklusive deren Verfügbarkeit in den Preislisten sowie eine zügige Integration von Lösungen wie beispielsweise Signavio als echter, vollintegrierter BTP-Service die operative Nutzung der BTP erleichtern. Zusammenfassend gelte: Für das Zusammenspiel von Lines-of-Business (LoB)- und BTP-Services müsse eine einheitliche Strategie erarbeitet, umgesetzt und kommuniziert werden. Darin sehe die DSAG einen wichtigen Ansatz, den es auszubauen gelte, heisst es.

Security-Dashboard nimmt Form an

Das Thema Security spiele auch im Zusammenhang mit KI eine wichtige Rolle. KI unterstütze nicht nur beim Einsatz diverser Funktionalitäten. Sie helfe auch Angreifer:innen schneller, effizienter und automatisierter zu agieren, so die DSAG weiters. Dass SAP nun für die SAP Analytics Cloud plane, ein Security-Dashboard für mittelständische Kunden parallel zu den Schnittstellen (API) und entsprechenden Partnerlösungen bereitzustellen, sei sehr zu begrüssen. "Damit erfüllt SAP eine langjährige DSAG-Forderung und unterstützt Kunden, die nicht über eine bereits implementierte, übergreifende Monitoring-Infrastruktur verfügen", unterstreicht Westphal. Was allerdings noch fehle, sei eine klare Antwort von SAP zur Bereitstellung von Security-Tools des Solution Managers über das Jahr 2027 hinaus, so Westphal. Bei der Configvalidation für die Konsistenzprüfung der Systeme und den System-Recommendations (Systemempfehlungen) gebe es erste Signale von SAP, dass diese Funktionalitäten künftig in SAP Cloud ALM bereitgestellt werden sollen.

Cloud all-in – Green IT: Quo vadis?

Beim Einsatz von Cloud-Services und dem Aufbau cloudbasierter Infrastrukturen wird es laut der Anwendergruppe immer wichtiger, den damit verbundenen Energieverbrauch zu berücksichtigen. Schon heute sollten Unternehmen, die Rechenzentrumsleistungen beziehen, den Verbrauch zum obligatorischen Teil der Ausschreibung werden lassen, damit "Always-on-Szenarien" und "Reserved Instances" bald Geschichte seien. Dementsprechend müssten die Cloud-Services von SAP in Zukunft sehr viel flexibler steuerbar gestaltet werden, hebt die DSAG hervor. Das gelte z. B. sowohl für den Always-on-Modus der Services der Hyperscaler-basierten Business Technology Platform als auch für die effiziente Datenverwaltung zwischen den SAP-Cloud-Services.

Natürlich brauche es dafür auch entsprechende SAP-Lösungen, so die DSAG. Dass jedoch das Green Ledger nur gegen Aufpreis und ausschliesslich für RISE-with-SAP-Premium-Kunden bereitgestellt werde, sei in dem Zusammenhang kritisch zu sehen. "Durch die einseitige Preispolitik und Einstellung der bisherigen Produkte Sustainability Control Tower und Sustainability Footprint Management werden Anwenderunternehmen darin bestärkt, sich nach Alternativlösungen mit langfristigen Einsatzszenarien umzusehen", fasst Sebastian Westphal zusammen. Das sei der falsche Ansatz, um Nachhaltigkeit wirklich zu fördern.

Als Ergebnis der diesjährigen Technlogietage listet die DSAG folgende Forderungen auf:
- Die technische Integration von KI-Modellen sei offen zu gestalten und dürfe nicht von kommerziellen Vertragsmodellen abhängig gemacht werden.
- Für das Identity-Management brauche es eine klare Ziellösung von SAP mit Migrationsszenarien und -services.
- Ein einheitliches Harmonized Document Management über das komplette SAP-Portfolio hinweg.
- Übergreifende End-to-End-Geschäftsanwendungen für SAP Datasphere und SAP Analytics Cloud sowie ein erweitertes Lizenzmodell für Gelegenheitsnutzer:innen.
- Erhebliche Fortschritte in den Bereichen Data Fabric/Data Mesh sowie moderne Data-Lakehouse-Architekturen.
- Security-Tools für den Solution Manager über 2027 hinaus. Erste Signale von SAP, dass diese Funktionalitäten künftig in der Zielplattform SAP Cloud ALM bereitgestellt werden sollen, könnten nur der Anfang sein.
- Flexibel steuerbare Cloud-Services um Always-on-Szenarien und Reserved Instances ablösen.
- Der Energieverbrauch müsse bei Cloud-Services und dem Aufbau cloudbasierter Infrastrukturen berücksichtigt werden.
- Green Ledger dürfe im Sinne der Nachhaltigkeit nicht gegen Aufpreis und nur für Rise-with-SAP-Premium-Kunden bereitgestellt werden.