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Die digitalen Veränderungen setzen der Call-Center-Branche derzeit enorm zu und bewirken eine langfristige Transformation. Aus diesem Grund wollte der Veranstalter der diesjährigen Call Center World erstmalig weder "Call" noch "Center" sein und das Telefonisten-Treffen nur noch unter dem Kürzel "CCW" durchführen.

"Weil Kunden nicht nur anrufen", heisst es als Erklärung. Für Beobachter kommt diese Erkenntnis aber um Jahre zu spät. Denn seit 2006 geht das Anrufvolumen im Hotline-Geschäft zurück. Apps, Web-Services, mobiles Internet, Foren, Chats, How-To-Videos, verschriftete Kommunikation über Social Networks und Communitys machen Telefonate für Kunden überflüssig.

Trotz aller Deutlichkeit sich abzeichnender Trends hat die Call-Center-Branche die Spielregeln der vernetzten Kommunikation noch immer nicht verstanden. Denn nicht selten will man auch soziale Medien mit dem strengen Prozessdenken des telefonischen Kundendienstes im Geiste des Controllings einfach so nebenbei als "zusätzlichen Kanal" bedienen. Diesen Denkfehler werden wohl viele Unternehmen erst dann abstellen, wenn die Konsolidierungswelle nicht nur die kleinen, sondern auch die grossen Anbieter erfasst, meinen Branchenbeobachter.

Service-Ärgernisse versanden eben nicht mehr in der Hotline-Warteschleife, sondern erblicken im Social Web das Licht in einer unübersichtlichen virtuellen Öffentlichkeit, die sich der zentralen Steuerung einer Service-Organisation entziehen, heisst es einhellig auf der Veranstaltung. Textbausteine und Skript prägen die Alltagskommunikation des klassischen Agenten im Kundendienst. Im Netz dagegen helfen Sprachregelungen, Kontrollschleifen, Autorisierungen und Mauertaktiken nicht mehr weiter.

Kaum Kundendialoge im Social Web

Wer sich auf die geringe Relevanz des Social Webs für Kundendialoge bezieht, darf nicht verschweigen, dass mehr als jedes zweite Unternehmen keine Social-Media-Angebote für Serviceanfragen macht. Das geht aus einer Studie der Unternehmensberatung Strateco hervor. Demnach sind rund 41 Prozent der Befragten der Meinung, dass sie soziale Netzwerke einsetzen. Das Nutzungsvolumen liegt allerdings bei mageren zwei Prozent. Kaum verwunderlich, denn in der Regel werden die Präsenzen auf Facebook, Twitter oder Google+ vom Marketing organisiert und sind fast nie auf Kundendialoge ausgerichtet.

Auf der Call Center World haben Andreas Lendner und Heinrich Welter vom Software-Spezialisten Genesys sowie dem Technologieberater Stefan Grünzner von Tieto über die Chancen und Herausforderungen der Call-Center-Industrie diskutiert. "Mit den kostenoptimierten Standardprozessen der Call Center kommt man im Netz aber nicht weiter. Hier brauchen Mitarbeiter mehr Entscheidungskompetenz und das Vertrauen der Führungsebene, um selbstständig mit Kunden kommunizieren zu können", sagt Grünzner. Auch das Marketing müsse erst lernen, dass die Zeiten der Einwegkommunikation vorbei sind, meint Welter. "Marketingmanager sind ganz überrascht, dass es in einer vernetzten Welt sofort Reaktionen und Rückkopplungen gibt. Das ist man nicht gewöhnt."