Der Campus der Fachhochschule St. Pölten (© Peter Rauchecker)

In jüngster Zeit häuft sich die Kritik an grossen Onlineplattformen: Filterblasen und Echokammern können dazu führen, dass Menschen nur noch bestimmte Informationen zugespielt bekommen und deshalb ein sehr einseitiges Bild von gesellschaftlichen Problemen entwickeln. Experten sehen aus medienethischer Sicht Bedarf nach einer Regulation.

Wer online welche Beiträge sieht, entscheiden Plattformen oft nach ihrer eigenen Logik und folgen dabei bestimmten Zielen und ihren Geschäftsinteressen. "Dies lässt befürchten, dass Kommunikationsprozesse zu einem problematischen Mass durch Eigeninteressen der jeweiligen Gatekeeper bestimmt werden", sagt Michael Litschka, Medienethiker und Leiter der Forschungsgruppe Media Business an der FH St. Pölten.

"Virtuelle Echokammern, in Windeseile verbreitete Falschinformationen: Die Lügenindustrie rüstet digital immer weiter auf. Befeuert von den Algorithmen der Plattformen und deren Interesse, die Anwender immer stärker in ihrem Ökosystem zu halten, kann das zu einer ernstzunehmenden Gefahr für Demokratien werden. Gleichzeitig tragen Social-Media-Portale dazu bei, dass sich Menschen vernetzen, Proteste organisieren können. Es braucht also Gesetze, die den goldenen Mittelweg finden, die Gutes zulassen und Schlechtes bestmöglich ausmerzen", erklärt Nana Siebert, stellvertretende Chefredakteurin der österreichischen Tageszeitung "Der Standard".

Christian Fuchs, Leiter der Forschungsgruppe für Mediensysteme und Medienorganisation an der Universität Paderborn, fordert politische Ansätze, die nicht Markt und Kommerz in den Vordergrund stellen, sondern eine gemeinwohlorientierte Digitalisierung. "Der digitale Kapitalismus ist gekennzeichnet durch Probleme wie die Monopole der Digitalgiganten, Fake News, eine Kultur der Postfaktizität, Verschwörungstheorien im Internet, digitalen Faschismus und Demagogie im Internet, digitale Kriegsführung mit Drohnen und Cyberattacken, algorithmische Politik, die ungleiche Verteilung von Online-Aufmerksamkeit, prekäre Plattformarbeit, oberflächliche, hochbeschleunigte Informationsflüsse als Teil einer Boulevardkultur auf sozialen Medien, etc.", sagt Fuchs. Aus seiner Sicht braucht es einen radikalen Digitalen Humanismus, der dem eine Vision einer gemeinwohlorientierten digitalen Gesellschaft entgegensetzt.

Ruf nach öffentlich-rechtlichen Sozialen Medien

Bestehende Regulierungen würden laut Fuchs zu wenig greifen und man brauche zudem nichtkommerzielle Alternativen. "Wir brauchen ein öffentlich-rechtliches Internet als Alternative zum digitalen Kapitalismus und den Digitalgiganten. Beim öffentlich-rechtlichen Internet handelt es sich um Internetplattformen, die von öffentlich-rechtlichen Medien wie dem ORF, der ARD und der BBC gemeinsam betrieben werden. Wir brauchen ein öffentlich-rechtliches Youtube und einen Club 2.0, eine auf Internet und sozialen Medien beruhende neue Version des legendären ORF-Debattenprogrammes Club 2", so Fuchs.

Fuchs initiierte gemeinsam mit Klaus Unterberger, dem Leiter des Public-Value-Kompetenzzentrum der ORF-Generaldirektion, ein Manifest für öffentlich-rechtliche Medien und ein öffentlich-rechtliches Internet. Es verlangt Alternativen zu den Digitalgiganten und wurde bisher von 1.300 Personen unterstützt, drunter Jürgen Habermas. Es fordert die Schaffung eines öffentlich-rechtlichen Internets als Alternative zum kommerziellen Internet sowie die Stärkung der Unabhängigkeit, des Erhalts und der Finanzierung öffentlich-rechtlicher Medien.

Forschungsprojekt zu Geschäftsmodellen digitaler Plattformen

Das Forschungsprojekt "GovMed - Governance of open data and digital platforms" der FH St. Pölten nimmt die Geschäftsmodelle von digitalen Plattformen genauer in Augenschein. Es untersucht, ob und in welchem Ausmass eine verstärkte Regulierung notwendig ist, um mögliche negative Wirkungen auf die Wissensallmende und den Zugang zu Informationsgütern abzufangen.

"Die leitende Forschungsfrage ist, welche Freiheiten und welche Verantwortung Unternehmen der digitalen Plattformökonomie haben sollen, wenn man sie als Technologie- und als Medienunternehmen definiert und welche Regulierungsmassnahmen es von Seiten der Politik braucht. Das übergeordnete Ziel ist die Entwicklung eines Governance-Modells", erklärt Projektleiter Michael Litschka von der FH St. Pölten.

Mit digitalen Plattformen aus der Sicht der Medienethik befasste sich vor Kurzem an der FH St. Pölten die Jahrestagung 2023 der Fachgruppe Kommunikations- und Medienethik der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK). Die zitierten Expert:innen nahmen daran teil. Kooperationspartner:innen der Veranstaltung waren das Zentrum für Ethik der Medien und der digitalen Gesellschaft (zem:dg), das Netzwerk Medienethik, das Interdisicplinary Media Ethics Centre (IMEC) und die Akademie für politische Bildung Tutzing. Die Jahrestagung fand als Kooperationsveranstaltung des Symposiums Medienethik der FH St. Pölten statt. https://medienethik.fhstp.ac.at