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Sichere Infrastrukturverhältnisse und ein stabiles politisches System haben in der Schweiz einen Bauboom für Rechenzentren ausgelöst. Jetzt schleicht sich die Furcht vor einer Blase ein.

Wer vom Zürcher Hauptbahnhof mit der S-Bahn nach Rümlang fährt, kommt an gleich drei Rechenzentren (RZ) vorbei: Am Hardturm steht eines der gerade erweiterten RZs von Equinix, etwas später sieht man in Opfikon auch das Datencenter der Interxion, die ebenfalls kräftig ausgebaut hat. Dann ist Rümlang erreicht, wo das noch im Bau befindlichen E-Shelter-Datencenter entsteht, das das sicherste RZ der Schweiz werden soll, wie es von den Erbauern angepriesen wird. Es soll im Juni den Betrieb aufnehmen, zwei Monate nachdem das neue RZ von Green in Lupfigen eingeweiht worden ist.

Derzeit kann man von Einweihung zu Einweihung fahren. Allein im letzten Jahr sind in der Schweiz rund 70.000 Quadratmetern RZ-Fläche für RZ-Neu- und Ausbauten projektiert worden und inzwischen wird schweizweit gebaut. Das 2010 geplante Investitionsvolumen liegt bei mindestens einer Milliarde Franken - konservativ gerechnet mit etwa 15.000 Franken pro Quadratmeter RZ-Fläche. Bis 2012, so die Prognose, wird der Markt verteilt sein. Wer bis dahin nicht im Rennen ist, wird es schwer haben, noch Fuss zu fassen, meint Marktanalytiker Philipp A. Ziegler von MSM Research in Schaffhausen. Laut Ziegler ist besonders der Einstieg immer mehr internationaler Anbieter in den Schweizer Markt ein deutliches Signal für die sich abzeichnende Marktverteilung.

Ausgelöst haben den Bau-Boom neben massiv gewachsenen regulatorischen Vorgaben insbesondere IT-Novitäten, die in den letzten Jahren marktreif geworden sind: Diverse neue Outsourcing-Modelle, Cloud-Anwendungen, Virtualisierungs-Techniken, neue Sicherheitslösungen und der rasant wachsende globalisierte Datenaustausch über leitungsfähige Netzwerke. Unternehmen, die ihre Kosten Griff haben wollen, sind gezwungen die neuen Möglichkeiten der Informatik mehr oder weniger schnell zu adaptieren. Der Druck, das eigene Business auszubauen, hat dazu geführt, die hohen Kosten für den Unterhalt und Betrieb eines eigenen RZ unter Lupe zu nehmen. Ständig wachsen die Anforderungen ans Personal und immer neue Vorschriften sind zu beachten. Darum werden jetzt in rascher Folge Zusammenarbeiten mit spezialisierten RZ-Anbietern gesucht und Verträge mit ihnen abgeschlossen.

Im Server-Paradies

Mit Equinix, E-Shelter, IBM, Interxion oder HP (Hewlett Packard) beteiligten sich im letzten Jahr die meisten grossen Namen der Investitions-intensiven Branche an dem hiesigen Bauboom. Kräftig befeuert wird er zudem von RZ-Projekten bekannter lokaler Anbieter wie Green, Solnet, IWB, Safe Host, Swisscom und von Neulingen wie Deepgreen, Orlo Net oder die Stadt Zürich mit ihrem OIZ (Organisation und Informatik Zürich). Ausserdem haben namhafte Firmen wie Yahoo oder die Swift (Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication) Neubauten geplant oder schon zu bauen begonnen.

Dass die Schweiz sich derart schnell zum Server-Eldorado entwickeln konnte, verdankt sie insbesondere ihrer noch vergleichsweise unabhängigen Insellage innerhalb Europas. Die gesamte Branche beurteilt die Situation der Schweiz ausserhalb der EU als positiv. Zu den wichtigsten Vorteilen werden zunächst die niedrigen Strompreise genannt. Sie liegen 10 bis 20 Prozent tiefer als in Europa, und die Stromversorgung ist nicht zuletzt durch die hohe Anzahl an Wasserkraftwerken im Lande dauerhaft sehr gut abgesichert. Dazu kommen bestens erschlossene Infrastrukturen. Es herrsche politisch und rechtlich eine im Vergleich zu anderen Ländern grosse Stabilität, heisst es bei allen RZ-Betreibern. Wichtig ist für sie unter anderem, dass etwa Schweizer Datenschutzgesetze den willkürlichen Zugriff auf Daten von Personen und Firmen verbieten. Daneben seien aber auch die hiesigen Steuermodelle nach wie vor attraktiv und ausserdem liesse sich hierzulande – trotz höherer Löhne – ein RZ billiger bauen als im Ausland. Dass man auf ein Pool von gut ausgebildeten Mitarbeitern trifft, wird als weiteres Plus verbucht.

Erste Zweifel werden laut

Wenn dennoch inzwischen Misstöne zu vernehmen sind, liegt das einzig an den massiv gewachsen RZ-Kapazitäten. Newcomer wie Orlo Net genauso wie altgediente Spezialisten von IBM prognostizieren Konsolidierungsszenarien. Mathias-Ulrich Koch, Chef der Rapperswiler Orlo Net, die demnächst ins Geschäft mit Zweit-RZs für die sichere Datenlagerung (Backup-RZ) einsteigen will, spricht bereits von „völlig überdimensionierten Vorstellungen“. Jörg Schanze, Manager für den RZ-Bau bei IBM Schweiz, verweist darauf, dass der Boom tatsächlich stattfindet, und sich automatisch auch der Wettbewerb unter den Anbietern verschärfen wird.

Beunruhigt sind aber die meisten RZ-Anbieter deshalb aber kaum. Weder gelten die Annahmen von Koch für den Gesamtmarkt, noch würde allein der Fokus auf Spitzenleistungen die Nachfrage nach RZ-Kapazitäten begrenzen. Branchenkenner wie van der Graaff weisen allerdings darauf hin, dass kleine RZ-Anbieter ein Kostenproblem bekommen werden. Weil sie künftig zu wenige Synergien nutzen könnten, liessen sich kaum mehr Preisvorteile geltend machen. Dennoch sieht auch van der Graaff nach wie vor hohe Potentiale: „Die meisten Firmen haben zu wenig Knowhow in Sachen Informatik und wollen diese gern auslagern, um endlich davon weg zu kommen“. Die eine oder andere Übernahme von RZ-Anbietern werde daran nichts ändern.

Preise unter Druck

Widerspruch gegen diese Einschätzung meldet der heutige Schweiz-Chef von Equinix, Marco Dottarelli, an und meint, dass es „Futter genug für alle habe“. Lediglich die fremdfinanzierten RZ-Betreiber dieser kapitalintensiven Branche könnten unter „erhöhten Druck“ kommen und müssten möglicherweise die Renditeerwartungen ihrer Businesspläne anpassen. Ausschlaggebend dafür seien aber eher Änderungen der derzeit so niedrigen Zinsverhältnisse, nicht jedoch die RZ-Nachfrage. Und Green-Chef Franz Grüter verweist auf die zuletzt häufiger in den Medien zitierte Marktstudie von Tier-1-Research und Credit Suisse. Danach werde der RZ-Markt bis 2015 jährlich um 19 bis 20 Prozent wachsen. Zwar steige auch die verfügbare RZ-Fläche, doch nur um rund 10 Prozent pro Jahr. Ausserdem, so Grütter, hätten erst etwa 30 Prozent der Unternehmen ihre Daten in einem professionellem Umfeld gelagert: „Hier herrscht also noch ein sehr grosses Potential“, sagt er. Diesen Optimismus teilt man auch beim RZ-Neuling Deepgreen. Ein „horrendes Wachstum“ sei im RZ-Markt belegt und die „Wirtschaftskrise spielt im RZ-Bereich eine vernachlässigbare Rolle“, sagt Verkaufschef Peter Gorini.
Bei E-Shelter und HP sieht man derartige Erhebungen kritisch. Nur weil man in sehr speziellen Segmenten mit hohen Eintrittsbarrieren arbeite, sei die aktuelle Marktsituation nach wie vor sehr positiv, heisst es dort. E-Shelter adressiert die Finanzindustrie und HP in der Schweiz speziell die Branchen Luftfahrt, Finanzindustrie und neue Formen von Cloud Services.

Gleichwohl werden derzeit auf der Kundenseite Hoffnungen auf billigere Preise geäussert. Stefan Peter, Managing Partner bei Nexellent, die RZ-Kapazitäten derzeit unter anderem von Interxion bezieht, geht von rasant wachsender Nachfrage aus. Immer mehr Industrien sähen sich gezwungen, schon aus Compliance-Gründen ihre Informatik in einem zweiten RZ zu betreiben. Da die derzeitigen RZ-Flächen ziemlich ausgebucht seien, habe man bisher entsprechend hohe Preise akzeptieren müssen. Weil jedoch allein in der ersten Jahreshälfte 2011 bis zu 8.000 Quadratmeter neu zur Verfügung stehen werden dürften „in der zweiten Jahreshälfte die Preise unter Druck kommen“, erklärt Peter.

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